Die Anfänge, das Hier und Jetzt, Visionen und Gedanken - Reflexionen von Reinhard Riedel, Mario Zenner und Gert Sczepansky

Anlässlich des Jubiläums bat die Redaktion des Zwickauer Pulsschlages, Reinhard Riedel als Mann der ersten Stunde, Mario Zenner als Geschäftsführer des Vereins sowie den Vorstandsvorsitzenden Gert Sczepansky um Statements zur Historie und gegenwärtigem Stand des Vereins. Wir fragten nach Zukunftsvorstellungen mit Blick auf die soziokulturelle Arbeit in Zwickau.   

 

Der Mann der ersten Stunde: Reinhard Riedel

Pulsschlag:
Wenn man sich die alten Bilder anschaut, kommt man zu dem Schluss, dass in Zwickau mächtig viel auf die Beine gestellt wurde. Was überwiegt heute: Blicke zurück mit Wehmut, Stolz auf die Entwicklungen der letzten Jahre, Neugier...?

 

Reinhard Riedel:
Ja, es wurde viel auf die Beine gestellt. Besser sollte vielleicht gesagt werden, es wurden Strukturen entwickelt - denn „Beine" auf die man hätte etwas stellen können, waren nicht vorhanden. Für mich gibt es keine Wehmut, denn Soziokultur ist eine stetige Entwicklung. Sie muss immer neu erfunden und erprobt werden. Aus den gesellschaftlichen Situationen und den Bedürfnissen der Menschen leiten soziokulturelle Einrichtungen und Projekte ihre Angebote ab bzw. sie geben den Menschen das Podium zur Verwirklichung eigener Vorstellungen.

Das Erreichte erfüllt mich mit der Erkenntnis, dass es die richtigen Wege waren. Die Visionen, die seit über 20 Jahren die Entwicklungen leiteten, haben Strukturen geformt, die stets neu gestaltet und gefüllt werden können. Neugier wird immer da sein, wenn solche Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Ich bin in der glücklichen Lage, diese auch mit anderen Projekten weiter zu füllen und mit zu gestalten.

 

Pulsschlag:
Wenn Sie heute an die Anfänge denken: Welche ganz persönlichen Schlaglichter erscheinen vor Ihrem „geistigen Auge"? Welche Bilder haben sich besonders festgesetzt, welche Mitstreiter fallen Ihnen (wieder) ein?

 

Reinhard Riedel:
Es sind zu viele Bilder, um sie in wenigen Zeilen zu beschreiben. Sie reichen von unbeheizbaren Räumen, über wunderschöne Veranstaltungen, übergroßen Einsatz von Menschen mit Visionen, bis hin zu Enttäuschungen über nicht enden wollende Selbstrechtfertigungen, weil man seine Arbeit für das Gemeinwesen gern auf ein solides Fundament stellen möchte. Es sind nicht vordergründig herausragende Einzelbilder, die mich bewegen, sondern es ist die Summe, die mir wichtig ist. Dazu gehören natürlich in erster Linie die Menschen, die kurze oder lange Zeiten gemeinsam mit auf dem Weg waren und noch sind. Ich denke, ich habe die meisten noch im Gedächtnis, doch wenn ich einzelne hervorheben würde, täte ich anderen wohlmöglich Unrecht - und das will ich nicht.

 

Pulsschlag:
Welche Themen standen damals an, mit welchen Problemen hatten Sie besonders zu kämpfen?

Reinhard Riedel:
Ein kleines Beispiel: Bei einer Baubegehung vor knapp 20 Jahren in der Inneren Plauenschen Straße 16 stellte ein Mitglied der städtischen Delegation fest, dass bei der Heizungsinstallation Kupferrohre verlegt wurden. Diese übertriebene und unangemessene Materialverwendung erzürnte ihn sehr... Das größte Problem war bis Ende der 90er Jahre natürlich die Immobilienfrage. Diese musste vorrangig und langfristig gelöst werden. Die beiden ersten Gebäude waren jeweils mit Rückforderungen belegt und boten so keine Perspektive.

 

Pulsschlag:
Was waren rückblickend die größten Freuden und Erfolge? Gab es Rückschläge und Enttäuschungen? Konnten Sie sozusagen Fundamente setzen, sprich, was war das, was bleibt?

Reinhard Riedel:
Mich persönlich freut am meisten, dass es mir gemeinsam mit all den anderen Mitstreiterinnen und Mitstreitern gelungen ist, dieses Projekt bis zu diesem Stand zu begleiten. Wir haben trotz vieler Rückschläge immer wieder neue Anläufe genommen, neue Wege gesucht und neue Argumente entwickelt, damit das Projekt nicht stirbt. Ich bin dankbar, dass wir die Kondition hatten.

Ich bin auch sehr froh, dass ich, aus meiner Sicht zum richtigen Zeitpunkt, eine Grenze ziehen konnte und gezogen habe, um mich auch anderen Aufgaben zuzuwenden. Dass ich diese teilweise im Gasometer umsetzen kann, ist sehr schön.

Was bleibt, ist gestaltbarer, geschützter Raum - ein kostbares Gut. Es liegt an den Menschen im Verein, in der Einrichtung und an den Menschen der Region, diese Freiheit zu nutzen und füllen.

 

Pulsschlag:
Mit dem Blick von heute - gibt es Entwicklung, die Sie verwundern?

Reinhard Riedel:
Es gibt stets Erstaunen und es geschehen immer Dinge, die anders als erwartet verlaufen. Für mich sind Entwicklungen von Menschen beeindru-ckend. Menschen, die in die Einrichtung kommen, sich einbringen - gleich in welcher Form. Es ist durchaus oft vorgekommen, dass dieses Verweilen und sich

Engagieren für alle Seiten Entfaltungen ausgelöst hat, die nicht vorhersehbar oder zu erwarten waren. Persönlichkeiten haben sich ent- und weiterentwickelt. Sie haben die vorhandenen Ressourcen, das Team, die Freiräume und Möglichkeiten genutzt  und sich im Gegenzug eingebracht, mit Zeit, Kraft, Ideen und Kreativität.

 

Der Geschäftsführer: Mario Zenner

Pulsschlag:
Aus der Sicht des Geschäftsführers - wie ordnet sich der Verein „Alter Gasometer - Soziokulturelles Zentrum e.V."  derzeit in das Kulturanbieter-Konzert ein? 

 

Mario Zenner:
Zuallererst freuen wir uns, den Alten Gasometer in den letzten zehn Jahren auch zu einem Haus der Kunst und Kultur, der Soziokultur etabliert zu haben. So soll es doch den einen oder anderen Skeptiker gegeben haben. Auf diesem Weg haben uns nicht nur Gäste und Kunden treu begleitet. Wir pflegen seit vielen Jahren mit einem Großteil der Zwickauer Kultureinrichtungen ein partnerschaftliches und freundschaftliches Miteinander. Immer standen uns auch Akteure aus anderen Kultureinrichtungen bzw. der Kulturverwaltung hilfreich zur Seite. Wir sehen uns nicht als Konkurrent. Ich meine, Zwickau hat eine vielschichtige und ausgewogene Kulturlandschaft, wo jeder der Kulturanbieter - ob kommunaler, freier oder kommerzieller Anbieter - seinen Platz gefunden hat. Und idealerweise gibt es hin und wieder auch erfolgreiche gemeinsame Kulturveranstaltungen.

 

Pulsschlag:
Das erstaunt immer wieder - gerade ist man noch bei einem Ostrock-Konzert oder einem Musikwettbewerb junger Bands voll dabei, kurz darauf erlebt man an genau dieser Stelle Kabarett, einen  Filmabend, Diskussionsforen oder Theater... Man muss schon sagen, der die Bühne beherbergende Rundbau macht einiges her und  verblüfft mit erstaunlicher Wandlungsfähigkeit. Eben diese verschiedenen „Gesichter" machen die Location sehr reizvoll. Ein Reizthema hingegen waren in der Vergangenheit hier und da die Akustik und die Textverständlichkeit... Wie ist diesbezüglich der Stand?

Mario Zenner:
Das stimmt. Der Raum verlangt den Tontechnikern immer ihr ganzes Können ab. Gerade bei Kleinkunstveranstaltungen oder Kinoaufführungen ist die Textverständlichkeit nicht an allen Stellen des Raumes optimal gewährleistet. Wir haben in den letzten zehn Jahren diesbezüglich viel hinzugelernt und raumtechnische bzw. tontechnische Veränderungen vorgenommen. Auch für die Zukunft sehen wir hierin eine hohe Priorität.

 

Pulsschlag:
Welche weiteren Angebote würden Sie gern noch aufnehmen?

Mario Zenner:
Aktuell? Keine. Philosophie unseres Handels war es in den letzten 20 Jahren immer, Prozesse zielstrebig, kontinuierlich und mit entsprechender Qualität anzugehen und umzusetzen. Diesbezüglich sind unsere Ressourcen für unsere aktuellen Arbeitsbereiche und Angebote ausgereizt.

 

Pulsschlag:
Zurück zu Veranstaltungen: Welche hätten Sie gern noch im Haus? Wie erfolgt die Auswahl? Spielen persönliche Vorlieben eine Rolle?

Mario Zenner:
Die Wunschliste ist groß. Und nimmt man die persönlichen Vorlieben der Mitarbeiter, wäre sie noch größer. Letztendlich sind wir aber Realisten und unterliegen auch dem Gebot der Wirtschaftlichkeit. Hauptsächlich orientiert sich unsere Bookerin, sprich unsere Verantwortliche für die Kultur-Veranstaltungen im Gasometer, an den Ansprüchen und Zielstellungen unseres Vereins, Breitenkultur, Nischenkultur, Laienkultur, respektive Soziokultur anzubieten. Publikumswünsche finden dabei ebenso ihren Platz wie auch hin und wieder rein kommerzielle Veranstaltungen.

 

Pulsschlag:
Hätten Sie gern noch weitere Partner „im Boot"?

Mario Zenner:
Wir sind froh, eine Vielzahl von Partnern zu haben. Mit deren Hilfe können wir inhaltliche, strukturelle und finanzielle Herausforderungen stemmen. Natürlich wünscht man sich immer, gerade in Zeiten immerzu knapper werdender finanzieller Spielräume, den einen solventen Partner an der Seite.

 

Der Vorstandsvorsitzende: Gert Sczepansky

Pulsschlag:
Zwei Jubiläen, da war doch ursprünglich eine kunterbunte Festwoche geplant. Warum hat man letztendlich darauf verzichtet?

Gert Sczepansky:
Eigentlich sollte vom 23. August bis 1. September ein umfangreiches Jubiläumsprogramm für ehemalige und aktuelle Mitstreiter sowie die Öffentlichkeit stattfinden. Angesichts der anhaltenden Finanz- und Wirtschaftskrise sowie deren Auswirkungen - u.a. erhebliche Kürzungen im Sozial- und Kulturbereich und drohender Stellenkürzungen im Verein Alter Gasometer - verzichtet der Verein auf seine geplante Festwoche. Dennoch möchten wir nicht komplett auf einzelne Höhepunkte in unserem Jubiläumsjahr verzichten. Allerdings sollen die Programmpunkte der „oben beschriebenen Situation" angemessen ausfallen.

 

Pulsschlag:
Auf interessante Diskussionen wird man in der Festwoche nicht verzichten. Welche Erwartungen knüpfen Sie an diese Veranstaltungen?

Gert Sczepansky:
Ich hoffe auf rege Beteiligung, Anregungen für unsere zukünftige Arbeit, aber vor allem noch mehr Menschen, die uns unterstützen.

Mario Zenner: Am 26. August laden wir zum Beispiel zu einer Fachtagung unter dem Titel „Zukunftsplanung für die Kulturregion". Dabei möchten wir den Blick zwischen Alltag und Vision, zwischen Anspruch und Realität schweifen lassen. Im Alltagsgeschäft geht es vorrangig um die Finanzierung (oder deren Schwierigkeiten) von Einrichtungen und Projektträgern oder um die Verwaltung von Abläufen. Woran weniger gearbeitet wird, sind mittel- und längerfristige Planungen, die sich auf Veränderungen der Gesellschaft beziehen und danach fragen, welche Schwerpunkte der Kulturarbeit uns besonders wichtig sind oder welche Effekte wir mit ihr in einer Region erzielen wollen. Wir verstehen also die Veranstaltung als Impuls für eine konzentrierte Strukturdiskussion in der Kulturregion Vogtland-Zwickau.

 

Pulsschlag:
Mit welchem Anspruch engagiert sich der Verein und welche persönliche Motivation ist mit Ihrem Engagement im Vorstand verbunden?

Gert Sczepansky:
Die Beschreibung als Soziokulturelles Zentrum will verdeutlichen, dass es um einen Ansatz geht, der Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Lebens- und Glaubensauffassungen einen Freiraum bietet. Unterschiede sollen nicht als trennend, sondern als anregend und herausfordernd erkannt werden. Kulturelle, soziale, bildende u. a. Inhalte belegen eine ganzheitliche Orientierung. Entgegen dem zunehmenden Konsumverhalten wollen soziokulturelle Zentren ein hohes Maß an Mitbestimmung und Mitgestaltung ermöglichen. Die Angebote entstehen aus den Bedürfnissen der Nutzenden, sie verarbeiten gesellschaftlichen Alltag, bieten Rahmen für Erprobung und Experiment und wirken zurück auf das Gemeinwesen. Diese inhaltliche Orientierung bedeutet auch, dass das Erreichte nicht die Endform darstellt, sondern einem stetigen Wandel unterliegt. Ich selbst bin dem Verein seit vielen Jahren eng verbunden und engagiere mich auch gern als Vorstand. Es macht große Freude, mit dem Team und meinen beiden Vorständen Andreas Nordheim und Sven Seidel  an den Vereinszielen und Vereinsvisionen mit zu arbeiten.

 

Pulsschlag:
Jubiläen provozieren immer auch die Frage nach Zukunftsvisionen: Welche haben Sie mit Blick auf die soziokulturelle Arbeit in Zwickau?

Gert Sczepansky:
Ich hoffe, dass die Arbeit von sehr vielen Menschen, die dieses Projekt in den letzten 20 Jahren vorangebracht haben, mit einer langen Zukunft belohnt wird.

Mario Zenner:
Spontan geantwortet..., dass es den Verein Alter Gasometer auch in 20 Jahren noch geben wird. Aber im Ernst. Der Verein steht im Jahr 2010/2011 vor seinen schwierigsten finanziellen Herausforderungen. Haushaltskonsolidierungen auf allen Ebenen erschweren die Planungssicherheit. Der Verein arbeitet seit langer Zeit am Limit seiner materiellen, personellen und finanziellen Ressourcen. Trotz ständiger Reflektierung und Evaluierung der eigenen Arbeit, dem überdurchschnittlich hohem ehrenamtlichen Engagement von Mitarbeiterinnen, Mitarbeitern und Vereinsmitgliedern, der Umstrukturierung verschiedener innerbetrieblicher Abläufe sind Grenzen erreicht. Wir benötigen Planungssicherheit und vertrauen auf ein partnerschaftliches Miteinander mit allen Entscheidungsträgern, um zweckmäßige Lösungen gemeinsam zu erarbeiten.

Drei tatkräftige Männer, die mit zahlreichen engagierten Mitstreitern viel bewirken wollen, am vergangenen Donnerstag bei der Newcomer Night des Alten Gasometers: Reinhard Riedel, Mario Zenner und Gert Sczepansky. Das Warm up am Vorabend des Stadtfestes ist mittlerweile eine der etablierten Veranstaltungen des Vereins, die zu Zwickau einfach dazu gehören. In diesem Jahr kamen mit den Emil Bulls aus München als Headliner und Coppelius aus Berlin als Special Guest zum Jubiläumsjahr 2010 erneut hochkarätige Acts nach Zwickau. Besonders die Hauptstädter beeindruckten die rund 4500 Besucher mit einer sehr außergewöhnlichen und auch augenzwinkernden Show mit Klassikanteilen der besonderen Art.