Die Schriftenreihe des Zwickauer Stadtarchivs wurde nicht zufällig „Cygnea" genannt. Abgeleitet vom lateinischen Begriff cygnus (auch: cycnus), zu deutsch der Schwan, steht „Cygnea" für Schwanenstadt. Dieser Name wurde seit dem 16. Jahrhundert immer gebräuchlicher als Beiname Zwickaus.
Befasst man sich mit der Zwickauer Stadtgeschichte, stößt man immer wieder auf den Schwan. Er begegnet einem in Gestalt der Cygnea-Legende des Dr. Stella, im Stadtwappen, als sogenannter Geschoss-Schwan, als Name eines Gasthofs oder als Schwanenteich.
Deshalb soll der vorliegende Beitrag näher auf die Bedeutung des Schwans in der Geschichte Zwickaus eingehen.
Die Cygnea-Legende des Dr. Stella
Der Zwickauer Arzt und Bürgermeister Dr. Erasmus Stüler (latinisiert: Stella) beschäftigte sich Anfang des 16. Jahrhunderts mit der Geschichte der Stadt, insbesondere ihrer Entstehung.
Stella zufolge hatte Zwickau seinen Ursprung in der Zeit von Herkules. Dessen Nachkomme Cygnus sollte die Stadt gegründet haben. Von dem vermeintlichen Gründer Zwickaus leitete Stella den Namen Cygnea ab. Zu Zeiten von Karl dem Großen (747 - 814) habe Schwanhildis, eine Urenkelin des Cygnus, den Ort besessen. Nach ihrem Tod sei er an den Kaiser gefallen, der ihn befestigt und mit Privilegien ausgestattet habe. Bis zu Heinrich IV. (1050 - 1106) habe Zwickau den Status einer Reichsstadt innegehabt. Stella führte als Beweise fingierte Urkunden und die angebliche Grabinschrift der Schwanhildis an. Zwickauer Chronisten nach Stella übernahmen diese Version, insbesondere Tobias Schmidt. So wurden die Darstellungen zur Frühgeschichte Zwickaus lange Zeit von Stellas Fälschungen dominiert. Zwar waren eine Reihe von Urkunden dem verheerenden Stadtbrand von 1403 zum Opfer gefallen, dennoch existierten wichtige Urkunden zumindest in Abschriften. Verwiesen sei an dieser Stelle auf die Stiftungsurkunde einer Marienkirche vom 1. Mai 1118 im damaligen Gau Zwickau, in der erstmals „territorio Zcwickaw" erwähnt wurde. Als Ratsmitglied und Bürgermeister musste Stella Zugang zu den vom Rat verwahrten Urkunden haben. Dennoch erfand er „eigene". Warum tat er dies?
Im Bewusstsein der Chronisten des 16. Jahrhunderts war die Stadt alt und ehrwürdig. Sie sollte in Beziehung zu den großen Herrschern der Vergangenheit stehen. „Die von Ihnen erteilten Privilegien sind weitreichend und nützlich, und es ist ganz und gar unwichtig, dass alle diese Vergangenheit nur in den Köpfen der Autoren existiert." Man war stolz auf seine Stadt. Diese Haltung traf mit Sicherheit auch auf Stella zu, der sich durch seine Fälschungen Ehre für die Stadt und Ruhm für sich selbst erhoffte. Seine Legenden über die frühe Zwickauer Stadtgeschichte wurden von anderen Chronisten aufgegriffen und fanden rasch Verbreitung. Insbesondere der Name Cygnea trat immer häufiger als Synonym für Zwickau auf.
Zwickauer Gelehrte wie Stephan Roth, 1517-1520 Rektor der Lateinschule und später Stadtschreiber, und Nikolaus Hausmann, Pfarrer der Marienkirche, taten es Stella gleich und verwendeten mehr und mehr den Namen Cygnea.
Noch heute ist dieser Name in historischen Dokumenten überliefert, so zum Beispiel in einer Federzeichnung des Grundrisses der Stadt aus dem 17. Jahrhundert. Das im Stadtarchiv erhaltene Blatt ist „Cygnea 1660" benannt. Auf den eigentlichen Namen Zwickau wurde gänzlich verzichtet.
Die Schwäne im Zwickauer Wappen
Seit Anfang des 15. Jahrhunderts fand das Schwanensiegel in Dokumenten des Rats Verwendung. Später bildeten die drei schreitenden Schwäne zusammen mit drei Türmen das Stadtwappen.
Der älteste Nachweis des Schwanensiegels befindet sich auf der Grabplatte der vier am 10. Juli 1407 in Meißen hingerichteten Ratsherren. Die Vorgeschichte dazu geht einige Jahre zurück.
Der im Jahr 1393 amtierende Bürgermeister und spätere markgräfliche Vogt und Hauptmann Conrad Brückner hatte versucht, den Zwickauer Rat und die Bürgerschaft beim Markgrafen zu Meißen, Wilhelm I. (1349 - 1407), in Misskredit zu bringen. Zwickau sollte in seinen Privilegien und Rechten beeinträchtigt werden. Sich selbst wollte er bereichern. Seine Helfer waren Franz Steussing, 1401 Bürgermeister und später Stadtrichter, sowie der Ratsherr Nickel Huge. Nach dem Tode von Wilhelm I. ging der Rat gegen die Machenschaften Brückners und Steussings vor. Steussing wurde angeklagt und nach vorhergegangenem hochnotpeinlichem Halsgericht enthauptet. Damit hatte der Zwickauer Rat offensichtlich seine Kompetenzen überschritten. Die neuen Landesherren Friedrich der Streitbare und Wilhelm II. zogen den Rat deshalb wegen Anmaßung der Gerichte zur Verantwortung. Sie bestellten Bürgermeister Peter Mergenthal und die drei Ratsherren Johannes Dithmar, Johannes und Stephan Gülden nach Meißen. Hier wurden sie zum Tode verurteilt und auf der Meißner Burg enthauptet.
1983 entdeckte man bei Umbauarbeiten im ehemaligen Kloster St. Afra die zweihundert Jahre verschollen geglaubte Grabplatte wieder. In der rechten unteren Ecke enthält sie das Wappen mit den drei Schwänen.
Das Schwanenwappen trat seit Anfang des 15. Jahrhunderts als roter Schild mit drei 2 : 1 gestellten Schwänen auf. Zunächst wurde es als Sekretsiegel (Nebensiegel), das neben dem eigentlichen Stadtsiegel mit den drei Türmen zu Beurkundungen bei weniger wichtigen Anlässen benutzt wurde, verwendet.
Bei dem 1514 hergestellten silbernen Sekretsiegel war der Schwanenschild mit dem Kurhut bedeckt und mit der Umschrift „Hec est Cignae candida et alma fides" (Frei übersetzt: „Das ist Zwickaus strahlende Treue und Redlichkeit") versehen. Der Schwanenschild gewann immer mehr an Bedeutung, was vermutlich auch auf das Wirken Stellas zurückzuführen ist. So waren beispielsweise beim großen Fürstenschießen 1573 an der Zielwand der Fürsten das Wappen des Kurfürsten, das der Kurfürstin, der Turmschild und der Schwanenschild aufgemalt.
Seit dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts setzte man Turm- und Schwanenwappen in einen gevierten Schild. Es entstand „des Rats großes Wappen mit den Türmen und Schwänen" bzw. „des Rates ganzes Wappen".9 Auf den Schild setzte man zwei Helme mit Helmzier. Auf dem rechten Helm wurde der Heilige Mauritius oder Moritz, der Stadtheilige aus der Zeit vor der Reformation, Helmzier. Der linke Helm erhielt als Zier den Kurfürstenhut, der zum Höhen- und Raumausgleich mit dem Heiligen Moritz mit sieben weiß-roten Fähnchen als Zeichen für die sieben Kurfürstentümer im Deutschen Reich besteckt war. Es wird bis heute als Großes Wappen der Stadt Zwickau geführt.
Der Schwan spielte in unterschiedlichster Weise immer wieder eine Rolle in der Zwickauer Geschichte.
Der Geschoss-Schwan
Messingschwäne dienten als sogenannte Geschosszeichen. Als Geschoss wurde die Grundsteuer bezeichnet, die alljährlich zu Walpurgis (1. Mai) und Michaelis (29. September) fällig war. Aus dem 16. Jahrhundert ist überliefert, dass der Rat Bürgern, die mit dieser Steuer in Verzug waren, den Geschoss-Schwan schickte. Anhand der Geschossbücher im Stadtarchiv lassen sich die Säumigen noch heute nachweisen. Ihnen wurden die Geschoss-Schwäne an die Haustür genagelt, so dass jeder erkannte, wer mit seiner Steuer in Verzug war. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts verfuhr man etwas diskreter. Die Geschoss-Zeichen wurden ins Haus geschickt. Wer nicht unverzüglich zahlte und den Schwan über Nacht behielt, hatte mit einem Bußgeld zu rechnen. Die Bußgelder fußten auf Ratsbeschlüssen. So beschloss der Zwickauer Rat am Mittwoch Lucie 1553 (13. Dezember 1553) ein Bußgeld in Höhe von 5 Groschen. Einen Monat später wurde der Beschluss bekräftigt.
Die Anfertigung der Geschosszeichen ist mehrfach in den Ratsrechnungen nachweisbar. 1523 ist nachzulesen: „3 Gulden Meister Petern gegeben von den Schwanen oder Geschosszeichen zu gießen".11 1532 lieferte der 1522 aus Nürnberg zugewanderte Büchsen- und Rotgießer Peter Mühlich erneut 11 „Schwanen" für 10 Groschen das Stück.12 Einer davon befindet sich heute in der stadtgeschichtlichen Ausstellung in den Priesterhäusern.
Symbolcharakter hatte der Schwan für Zwickau auch auf andere Art.
So zum Beispiel verwendete der Rat Schwäne zur Kennzeichnung von Bierfässern, die aus den Bierkellern geholt wurden.
Der Gasthof „Drei Schwanen"
Seit dem Mittelalter existierte in Zwickau der Gasthof „Drei Schwanen" oder „Zu den drei Schwanen". Er galt als der erste Gasthof der Stadt und befand sich am Markt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rathaus (heute: Hauptmarkt 4). Er führte das Stadtwappen als sein Zeichen. Ursprünglich gehörte er dem Zwickauer Rat, der ihn allerdings verpachtete. Nach dem Chronisten Emil Herzog war er vor dem Dreißigjährigen Krieg der vornehmste Gasthof Zwickaus. Hier stieg 1546 Kurfürst Moritz ab. 1632 logierte Wallenstein in den „Drei Schwanen", als er vom 14. bis 16. Oktober mit seinem Heer Rast in Zwickau machte.
Der altehrwürdige Gasthof sah nicht nur vornehme und berühmte Gäste. In seinen Räumen spielte sich auch ganz normales Wirtshausleben ab. Überlieferungen im Zwickauer Stadtarchiv zeichnen ein Bild davon.
Der Gasthof existierte bis Ende der 1830er Jahre. 1839 wurde das Gebäude neu aufgebaut und die Restauration (Gaststätte) „Zum Schwan" verpachtet. Sie existierte bis Ende der 1860er Jahre. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts musste die alte Bebauung der südwestlichen Hauptmarktseite neuen repräsentativen Geschäftshäusern weichen.
Der Schwanenteich
Der sagenumwobene Schwanenteich, an dem einst ein junger Einsiedler sein Glück gefunden haben soll17, existierte als großer Teich seit Ende des 15. Jahrhunderts.
In einer am 7. Dezember 1473 ausgestellten Urkunde gestattete der Rat zu Zwickau Martin Römer und Hans Federangel die Anlegung eines Teiches auf dem Anger unterhalb der Richtstätte zu ihren Kosten, forderte aber ein Drittel der Nutzung für sich. Nach Emil Herzog wurde der Teich als sogenannter großer Teich, er umfasst immerhin 16 Hektar, bis 1477 angelegt. 1504 nach dem Tod von Katharina, der Witwe von Martin Römer, ging der Teich in kommunales Eigentum über.
Der große Teich wurde zur Fischzucht für die Fastenzeit genutzt. Ihm kam zusammen mit den anderen westlich vor der Stadt liegenden Teichen, vom Thonteich im Süden bis zu den Boseschen Teichen im Norden, die wichtige Rolle eines Wehrteiches zu. Im Verteidigungsfalle wurde das Wasser abgelassen. Das Gelände westlich der Stadtmauern versumpfte. Belagerern war der Schanzenbau erschwert.
An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert machten sich die alt hergebrachten Wehranlagen in Gestalt der Stadtmauern überflüssig. In Zwickau hatte man um 1800 mit dem Abtragen der Stadtmauer und dem Zuschütten des Stadtgrabens begonnen. Die Teiche entbehrten ebenfalls mehr und mehr ihrer Schutzfunktion.
Mit dem Wachsen der Stadt im Zuge der Industrialisierung entwickelte sich das Gebiet um den großen Teich zum Ausflugsziel der Zwickauer. 1836 wurde auf der Westseite das Schwanenschloss errichtet (Anfang der 1990er Jahre abgerissen), nach Emil Herzog „eine elegante, im italienischen Geschmacke erbaute Restauration ..., von welcher man eine treffliche Aussicht auf die Stadt genießt."
Um 1850 wurden auf dem großen Teich Schwäne ausgesetzt und er erhielt den Namen Schwanenteich. Um seine Attraktivität als städtische Grünanlage zu erhöhen, beschloss der Rat, das Gelände um den Teich als Stadtpark zu gestalten. „Der Plan zu den jetzt bestehenden Anlagen ... südlich des Unterdammes und westlich des Krataegusdammes ... wurde im Jahre 1853 von dem fürstlich Pücklerschen Garteninspektor Petzold in Muskau in Schlesien im freien Landschaftsstil entworfen und ist in den folgenden Jahren ausgeführt worden. Der Parkteil nördlich des Unterdammes zwischen Park-, Reichenbacher und Humboldtstraße ist gleichfalls nach einem Petzoldschen Entwurfe in den Jahren 1874 und 1875 angelegt worden."
Am Ostufer des Teichs entstand eine gern genutzte Gondelstation. Im Winter trafen sich Jung und Alt zum Eislaufen auf dem Schwanenteich.
Mit der Industrie- und Gewerbeausstellung 1906 auf der Ziegelwiese, dem 1830 trocken gelegten Ziegelteich nördlich des Schwanenteiches, sowie mit der „Ausstellung für das Gastwirtsgewerbe, Heimische Industrie..." bildete der Schwanenteich die Kulisse für wichtige wirtschaftliche Ereignisse. Die Gestaltung des Ausstellungsgeländes erforderte Eingriffe in die natürlichen Gegebenheiten, die negative Folgen für die Flora und Fauna in diesem Gebiet hatten. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entstanden durch das Einleiten ungeklärter Abwässer von Steinkohlenschächten und Dammaufschüttungen mit gashaltiger Schlacke weitere ökologische Schäden.
Während des Zweiten Weltkrieges verwahrlosten die Parkanlagen am Schwanenteich. In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden sie sogar als Gemüsegärten genutzt. Seit Ende der 1940er Jahre bemühte sich die Stadtverwaltung um die Wiederherstellung der Anlagen. 1957 zum Beispiel konnte die Freilichtbühne eingeweiht werden. Sie und weitere Teile des Parks, besonders die Melzerwiese, waren regelmäßig Veranstaltungsorte der Pressefeste der „Freien Presse".
Zum Gedenken an die Opfer des Faschismus entstand 1948 am Nordufer das VdN-Mahnmal, das 1965 erneuert wurde.
1948 erhielt das Robert-Schumann-Denkmal, das zuvor vor der ehemaligen, durch Bomben zerstörten Kreishauptmannschaft stand, seine Weihe auf einem neuen Platz an der Ostseite des Parks. Hier stand es bis 1993, als es an seinen ersten Standort auf dem Hauptmarkt zurückkehrte. In dem nach wie vor viel besuchten Park im Herzen der Stadt findet der aufmerksame Spaziergänger weitere Denkmäler, so das Denkmal für die im Ersten Weltkrieg Gefallenen des „Neunten Infanterie-Regiments Nr. 133". Etwas versteckt an der Nordostseite des Schwanenteichs am Unterdamm befindet sich der Gedenkstein für Zwickaus ersten Oberbürgermeister Lothar Streit.
Nach wie vor besitzt der Schwan Symbolcharakter für Zwickau. So konnte man zum Tag der Sachsen im Jahr 2000 auf Schritt und Tritt auf das aus diesem Anlass geschaffene Maskottchen „Schwan Robert" treffen.
Eine zweifelsfreie Bestimmung der Herkunft des Schwans in der Zwickauer Geschichte ist bis heute nicht möglich. Emil Herzog, der um 1840 die noch heute viel beachtete „Chronik der Kreisstadt Zwickau" verfasste, vermutete einen Zusammenhang mit der alten Pflege Schwanfeld, wie in vergangenen Zeiten die Gegend um Zwickau genannt wurde. Eine andere Erklärung besteht darin, dass der Schwan für Zwickau symbolträchtig wurde, weil er in der Mythologie eine Rolle spielte und im Mittelalter als exotischer Vogel galt, der sich nur hin und wieder in der hiesigen Gegend niederließ. Aber eine endgültige Klärung konnte nicht erbracht werden. Der Ursprung dieser engen Beziehung Zwickaus zum Schwan wird wohl auch zukünftig im Dunkeln bleiben.
(Auszug aus Cygnea Schriftenreihe des Stadtarchivs Zwickau, Heft 1, 2003)